16. September 2021
An einem sonnigen Nachmittag trafen sich mehr als 50 Interessierte, um sich ein Bild von dem 126 Hektar großen Gemeindewald zu machen.
Der Vorsitzende der ÖJV-Bezirksgruppe Schwaben, Stefan Kolonko, begrüßte die Teilnehmer. Dabei waren neben zahlreich Landwirten und Jägern der 1. Bürgermeister von Wittislingen, Thomas
Reicherzer, Gemeinderäte, der Bereichsleiter Forsten des AELF Nördlingen-Wertingen, Marc Koch, sowie Vertreter vom Bund Naturschutz und der Arbeitsgemeinschaft für Naturgemäße Waldwirtschaft.
(Bild: Dr. W. Kornder) Bürgermeister Reicherzer bei der Begrüßung
Nach einleitenden Worten des Herrn
Bürgermeisters und den Vertretern von Forst und Naturschutz ging es in den Wald.
An vier Exkursionspunkten wurde diskutiert. Dabei ging es zunächst um die Frage, warum die reichlich ankommende Naturverjüngung der Mischbaumarten Tanne, Buche und Eiche seit Jahrzehnten keine
Chance hat, sich an der künftigen Waldverjüngung zu beteiligen.
Bis auf ganz vereinzelte Teilnehmer waren sich dann alle einig, dass dies eindeutig eine Folge eines zu hohen Rehwildbestandes ist. Nur so hatten seit Jahrzehnten nur einzelne Fichten und
Bergahorne die Chance, aus dem Rehäser herauszuwachsen.
Dann ging es um die Möglichkeiten, diesem Drama ein Ende zu setzen. Aus Kreisen der Jagdgenossen kam der Hinweis, dass es vor allem auch an den Jagdbehörden liegt. Geringfügige
Abschusserhöhungen, die nicht überprüft werden und sich vielfach auf eine Untererfüllung aus den Vorjahren beziehen, bringen eben seit Jahrzehnten gar nichts. Deshalb wurde an den Bürgermeister
die Forderung formuliert, zunächst einmal den Abschuss mindestens zu verdoppeln. Die erfahrenen Teilnehmer mit ÖJV-Hintergrund hielten das für den einzig gangbaren und vor allem
erfolgversprechenden Weg.
Die von Jagdgenossen geäußerte Meinung, dass nur mit Zaun und Einzelschutz etwas zu erreichen wäre, ist letztendlich der schlimmen Realität geschuldet. Die Realität ist in Nordschwaben leider eine nahtlose Zusammenarbeit der Jägerschaft und der Jagdbehörden, die eine Umsetzung der Vorschriften der bayerischen Jagd- und Waldgesetze bis heute verhindert. Das Vegetationsgutachten gibt es seit 1986, verändert hat sich vielerorts leider nur wenig. Selbst der Vertreter der Forstbehörde unterstrich diese an sich untragbaren Zustände.
Im Gemeindewald hat man jedenfalls die missliche Situation erkannt und der Markt Wittislingen hat gehandelt.
Statt einer nicht ganz so einfachen Eigenbewirtschaftung hatte der 2. Bürgermeister von Wittislingen, Ulrich Mayerle, sich für die Verpachtung an einen zuverlässigen Pächter entschieden.
Natürlich mit Zustimmung des Gemeinderates. Nicht der höchste Pachtpreis gab den Ausschlag, sondern die Einstellung des neuen Pächters, der Verjüngung eines zukunftsfähigen Waldes absolut Vorrang
einzuräumen.
Alle waren sich einig: In drei Jahren kommen wir wieder. Da soll der Wald dann schon ganz anders aussehen.
Dr. Walter Mergner
Der BR berichtet darüber: Weniger Fichten und Rehe - so hat der Wald eine Chance
In der Abendschau - Der Süden, ebenfalls ein sehr guter Bericht (ab 8:44)
Auch das Bayerische Landwirtschaftliche Wochenblatt (BLW) berichtete auf zwei Seiten am 1. Okt. 2021 darüber
(BLW 39 vom 1.10.2021, S. 16f; Dr. Michael Ammich: Raus aus dem Dilemma. "Hunting4future" soll in Wittislingens Wäldern Naturverjüngung möglich machen.)
(Bild: Dr. W. Kornder) Hier mussten die gepflanzten Buchen aufgrund des zu hohen Verbisses nachträglich gezäunt werden.
Die Gemeinde Wittislingen besitzt 126 ha Gemeindewald, der bisher zusammen mit der angrenzenden Genossenschaftsjagd verpachtet war. Nach einem einstimmigen Gemeinderatsbeschluss wurde die Eigenjagd ab dem Frühjahr 2021 an einen neuen Jäger verpachtet mit der Maßgabe, dass sich die vorhandenen Baumarten Fichte 48%, Eiche 16%, Ahorn 13% und Buche 8% zukünftig wie in Art.1(3) Bay. Jagdgesetz gefordert, selbst verjüngen. Außer Fichte und gelegentlich Ahorn ist gegenwärtig in den auf der Exkursion besichtigten Teilen keine Naturverjüngung über Verbisshöhe vorzufinden. Die in der Vergangenheit praktizierte Fütterung war kontraproduktiv. Sie hat das Rehwild im Wald konzentriert und die Verbissbelastung erheblich erhöht. Die finanzielle Belastung des seit Jahren defizitär bewirtschafteten Waldes ist laut Bürgermeister Thomas Reicherzer für die Gemeinde und damit für die gesamte Bevölkerung nicht mehr zumutbar. Dabei kann sich der Wald bei angepassten Wildbeständen ständig selbst regenerieren.
Thomas Hefele vom Bund Naturschutz wies darauf hin, dass hier die Fichte der Klimaerwärmung auf Dauer nicht standhält und man zukünftig auf tiefwurzelnde Baumarten wie die naturschutzfachlich wertvollen Eichen angewiesen sein wird.
Eine Alttannengruppe verdeutlichte das ungeheure Potential der Naturverjüngung mit 10.000 Sämlingen pro Hektar die allerdings in der Vergangenheit trotz ausreichendem Licht auf „unerklärliche Weise“ immer wieder verschwunden sind. Walter Mergner (ANW) machte auf die Sämlinge von Eiche, Buche, Ahorn und Tanne aufmerksam, die vergeblich versuchen, sich am Waldaufbau zu beteiligen. Da die Naturverjüngung der Mischbaumarten in der Vergangenheit vom Rehwild herausselektiert wurde, mussten diese gepflanzt, aufwändig geschützt und kostenintensiv ausgegrast werden.
Dr. Wolfgang Kornder, Vorsitzender des ÖJV Bayern, stellte wiederholt fest: „Hier hat die für einen zukünftigen stabilen Wald wichtige Naturverjüngung derzeit keine Chance. Aber gerade die
bräuchten wir mit ihren unverletzten Hauptwurzeln.“
Auch Forstdirektor Marc Koch vom AELF Nördlingen-Wertingen wies darauf hin, dass in der Hegegemeinschaft Bachtal die Verbissbelastung laut den heurigen Vegetationsaufnahmen zu hoch ist und die
Gemeinde bei ihrem Anliegen von der Bayerischen Forstverwaltung bestmöglich unterstützt wird.
Auf die kritische Frage eines Teilnehmers, wie hoch der Abschuss zukünftig sein sollte, damit die Naturverjüngung eine Chance bekommen kann, antwortete Stefan Kolonko vom ÖJV, dass eine
Verdopplung der gegenwärtig genehmigten 13 Rehe wohl notwendig sein werde. Inwieweit die örtliche Jagdbehörde diesen Weg mitgeht, wird sich noch herausstellen, da sie sich in der Vergangenheit
nicht besonders waldfreundlich verhalten hat. Nach 35 Jahren Vegetationsgutachten in Bayern dürfte es solche extreme Verbisssituationen wie im vorliegenden Wald eigentlich überhaupt nicht mehr
geben, wenn die Jagdbehörden ihrem gesetzlichen Auftrag nachgekommen wären.
Die Selbstheilungskräfte des Waldes sind im Übermaß vorhanden, so dass es nur eines dem Wald angepassten Rehwildbestandes bedarf, damit in einem überschaubaren Zeitraum sich ein klimaresilienter
Mischbestand auf großer Fläche entwickeln kann. Nachhaltiges Wirtschaften im Wald bedeutet mit der Naturverjüngung zu arbeiten und nicht gegen sie. Davon haben alle Gemeindemitglieder etwas, da
Erholungsmöglichkeiten, klimatischer Temperaturausgleich und die Grundwasserneubildung erhöht werden und nicht zuletzt erhebliche Kosten des kommunalen Steuerzahlers eingespart werden.
Stefan Kolonko
(Bild: Dr. W. Kornder) Obwohl alte Eichen als Samenbäume da sind, fehlt aufgrund des zu hohen Verbisses die Eichen-Verjüngung. Im Vordergrund sind die Förster Stefan Kolonko und Dr. Walter Mergner zu sehen.
(Bild: Dr. W. Kornder) Nach der teils kontroversen, aber dennoch konstruktiven Exkursion gab es noch viele Gesprächsgruppen.