Leserbrief zu "Jagdverband will „Wald vor Wild“-Grundsatz kippen"
Im vergangenen Herbst brachten die bayernweit durchgeführten „Forstlichen Gutachten zur Situation der Waldverjüngung“, vulgo Vegetationsgutachten genannt, erneut zu Tage, dass die Bestände von Reh-, Rot- und Gamswild auf der Hälfte (!) der bayerischen Wälder so hoch sind, dass ein gesunder Mischwald nicht, wie vom Jagdgesetz gefordert, „im Wesentlichen ohne Schutz aufwachsen“ kann. Aber aber anstatt sich Asche auf das Haupt zu streuen und Besserung zu geloben, will der Bayerische Jagdverband (BJV) die Gesetzesgrundlagen zum Schutz unserer Wälder und der Waldbesitzer so ändern, dass das jahrzehntelange jagdliche Versagen nicht mehr publik wird. Denn obwohl es die Vegetationsgutachten seit 1986 gibt, stagniert nach anfänglich guten Fortschritten die Verbissbelastung vielerorts auf einem untragbar hohen Niveau. Der Schaden dieses jagdlichen Totalversagens ist enorm: So kann kein zukunftsfähiger Mischwald, den wir gerade im Klimawandel dringender denn je brauchen, heranwachsen!
Die Zeche zahlen die Waldbesitzer und Steuerzahler, die statt der möglichen kostenlosen Naturverjüngung teure Pflanzungen und Schutzmaßnahmen gegen Wildverbiss zwischen 10.000 und 30.000 € pro Hektar finanzieren müssen - ein Vielfaches der jährlichen Jagdpachteinnahmen von drei bis fünf Euro/Hektar.
Dies als „Profit vor Tierschutz“ zu verunglimpfen, ist an Ignoranz und Unverfrorenheit kaum zu überbieten! Und dazu auch noch das Grundgesetz mißbräuchlich zu instrumentalisieren, zeigt die Geisteshaltung der BJV-Führung um den Juristen und Hobby-Jäger Weidenbusch.
Was unterschlagen wird: Nicht nur im Art. 14 GG ist der Schutz des Eigentum garantiert, speziell im Artikel 1 des Bayerischen Jagdgesetzes heißt es , dass dieses Gesetz (unter anderem) dazu dienen soll, „ Beeinträchtigungen einer ordnungsgemäßen land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Nutzung durch das Wild möglichst zu vermeiden, insbesondere soll die Bejagung die natürliche Verjüngung der standortgemäßen Baumarten im Wesentlichen ohne Schutzmaßnahmen ermöglichen“. „Wald vor Wild“ heißt nichts anderes, als die Verwirklichung dieser Grundsätze! Der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, hier ein gesunder Wald, muss vor den jagdlichen Interessen stehen! Dazu muss man wissen, dass zum Beispiel von den überall in Bayern vorkommenden Rehen jährlich mehr als 360.000 Stück (!) erlegt werden. Diese Tierart ist genauso wenig wie Rot- und Gamswild gefährdet, Tanne, Eiche und Edellaubbäume aber schon. Diese Tatsachen sollen aber nach dem Willen des BJV unter den Teppich gekehrt werden. Deshalb wird nicht nur das Waldgesetz attackiert, sondern auch das Vegetationsgutachten und es werden in einem BJV-internen Papier die Forstbehörden massiv schlecht gemacht. Mit Verweis auf die angebliche eigene Kompetenz würden der BJV am liebsten selbst den Verbiss und die Wildschäden beurteilen, wie es in einem Eckpunktepapier um die Abgeordneten und BJV-Mitglieder Schnürer, Weigert und Bauer gefordert wird. Ausgerechnet Jäger, die es über Jahrzehnte nicht geschafft haben, gesetzesmäßige Zustände im Wald zu schaffen und von denen vielen kaum fünf Baumarten unterscheiden können - insbesondere im Keimlings- und Jugendstadium -, möchten den Förstern erklären, was die rund 50 verschiedenen heimischen Baumarten zur erfolgreichen Verjüngung brauchen? Dem BJV geht es weder um Tierschutz noch um die Eigenverantwortung der Waldbesitzer, sondern im Sinne eines neofeudalistischen Jagdverständnisses um „Jagd vor Wald“!
Alfons Leitenbacher
Nußdorf