Moderne Märchen

Zum Artikel von Dr. Rudolf Neumaier
Ein Ammenmärchen
JiB 4-2022, S. 22 – 25  


Kurz vor dem Landesjägertag mit Neuwahlen des BJV hat sich (noch-) Jungjäger Dr. Rudolf Neumaier kräftig ins Zeug gelegt und einen märchenhaften Beitrag für die Jagd in Bayern (JiB) mit folgendem Grundtenor verfasst: „Die Geschichte, dass der Waldbau bei konsequenter Rehwildbejagung ohne Schutzmaßnahmen funktioniert, ist ein Ammenmärchen.“
Wie nicht anders von ihm gewohnt, stellt er mit geschliffenen Formulierungen die vermeintlichen „Lügen“ des ÖJVs und anderer Verbände/Jagdgenossenschaften dar und entlarvt sie (angeblich) in der ihm ganz eigenen Weise. Alle, die den Wald wesentlich als Kulisse für die Jagd sehen, werden ohne Zweifel zustimmen.

Dr. Neumaier habe 40 Reviere begangen, in Begleitung der Bösewichte – wie bekannt ist, muss es ja in jedem Märchen mindestens einen Bösewicht geben -, aber auch ohne, also incognito. Als er die Realität sah, „ist ihm das Lachen vergangen“. - Spannend aufgemacht! Was sah er denn?

„Ein hochrangiger Vertreter vom ÖJV“ hätte ihm „vorgeschwärmt“, dass es in einer bekannten Aushänge-Jagdgenossenschaft  keine Wildunfälle mehr gebe, was aber ganz offensichtlich nicht stimmte. - Ich stutze: Dass Wildunfälle bei angepassten Wildbeständen gravierend zurückgehen, ist eindeutig belegt. Dass es aber trotzdem einzelne Wildunfälle, vor allem im Grenzbereich zu Rehzüchterrevieren oder an neuralgischen Punkten geben kann, hat m.E. im ÖJV noch nie jemand bestritten.

 

Bei einer Revierbesichtigung incognito habe er dort dann Zäune und selbst in Zäunen mit Plastikclips geschützte Pflanzen gesehen! - Dass Waldbauern im Grenzbereich zu rehzüchtenden Revieren Zäune trotz guter Bejagung manchmal als nötig ansehen, kann ich nachvollziehen. Aber dass dann Doppelschutzsysteme, sprich Zaun + Plastikclipse, installiert werden, geht nun doch zu weit. Da bleibt auch mir das Lachen im Hals stecken. Wo er recht hat, hat er recht!


Und dann dieses „absolute Tabu, Rehwild in Bewegung zu schießen“ – und dazu noch „freihändig“! – Ich muss ehrlich gestehen, dass mir dieses Tabu gar nicht bekannt war. Wer hat das wieder aufgestellt? - Denn Sauen darf man selbst hochflüchtig beschießen, Flugwild und Hasen müssen in voller Bewegung beschossen werden – auch aus Gründen der Waidgerechtigkeit -, aber z.B. langsam ziehendes Rehwild nicht? Und wie will Dr. Neumaier aufgelegt auf flüchtige Sauen schießen? Wird deshalb in Schießkinos nicht ausschließlich freihändig geübt? – Naja, da muss ich nochmal drüber nachdenken.


Nun der volle Tabubruch, nämlich Rehwild mit Schrot zu schießen! – Das ist in Deutschland verboten, wie jeder weiß, und hat deshalb zu unterbleiben. Nach unseren Recherchen sind diese Sätze wahrheitsentstellend zitiert. Aber vielleicht sollte man das „Ammenmärchen“ in die Schweiz oder nach Schweden weiterleiten, damit die Jäger über den dort teils erlaubten „unwaidmännischen“ Schrotschuss auf Rehwild ins Nachdenken kommen.


Und weiter zäunen sie, diese waldfreundlichen Ideologen, standortfremde Pflanzen ein oder verwenden Einzelschutz. – Ehrlich gesagt muss ich hier fast verstummen, weil ich in manchen extremen Fällen dem Frieden auch nicht trauen würde und die Waldbauern verstehe, wenn sie aus Sicherheitsgründen trotz guter Bejagung besonders gefährdete, z.B. standortfremde Pflanzen zäunen oder mit Einzelschutz schützen. Und heißt es im Jagdgesetz deshalb nicht „im Wesentlichen ohne Schutzmaßnahmen“?


Schließlich der ehemalige Berufsjäger, der mit dem Bayerischen Gesetzesgrundsatz „Wald vor Wild“ durch die Lande tourt. Auch da soll es gepflanzte und dazu noch geschützte Bäumchen geben.        - Darf man nicht mehr pflanzen, fragt eine Stimme unwillkürlich in mir? Bei aller Achtung der Naturverjüngung schien es mir bislang durchaus legitim, dort, wo es z.B. keine Samenbäume gibt, Fehlendes per Pflanzung einzubringen. Gut, man kann auch auf die Sukzession setzen, vor allem dann, wenn man wie in Naturschutzgebieten oder Nationalparken Jahrhunderte Zeit hat, aber im Wirtschaftswald, angesichts des Klimawandels?


Auch zur Jagdstrategie gibt es Kritik, denn sie jagen auch „vor dem Wald“, was man an dem Vorhandensein von Ansitzeinrichtungen unübersehbar feststellen kann! – Mach ich auch. Macht auch der im Text genannte Ulrich Haizinger. Wie will er denn ansonsten das im Feld zu Schaden gehende Schwarzwild bejagen? Und vertreten wirklich alle ÖJVler die Ansicht, man solle „nur“ im Wald jagen?

 

Und außerdem sei es verwerflich, wenn man „Werbung gegen Rehe macht“! Die können ja nichts dafür. Das stimmt. Aber wer macht denn „Werbung gegen Rehe“? Der ÖJV nicht! Verwechselt Dr. Neumaier hier nicht Rehe und unzureichende Bejagung?

 

Das Märchen schließt mit den „grauenvollen Geschichten“, die nun zunehmend ans Tageslicht kommen oder ans Tageslicht gezerrt werden sollen. - Meint er die „grauenvollen Geschichten“ von den Schwarzwildjagden, bei denen (freihändig) auf alles geschossen wird, was sich bewegt und nach Sau aussieht, oder die Baujagden, bei denen tierklinikreife Bauhunde ausgegraben werden müssen, oder die Entenjagden, bei denen bis in die tiefe Dämmerung hinein in den Himmel geballert wird …? 

Nachdem nun die „Lügen“ entlarvt sind, müsste dann nicht als Nächstes gemäß der Märchenwelt des Dr. Neumaier das auf solchen Lügen basierende Wald- und Jagdgesetz geändert werden? Denn das fordert ja, „einen standortgemäßen und möglichst naturnahen Zustand des Waldes unter Berücksichtigung des Grundsatzes „Wald vor Wild“ zu bewahren oder herzustellen“ (Art 1 (2) 2. und zwar nach Art 1 (2) 3. des Bayerischen Jagdgesetzes „im Wesentlichen ohne Schutzmaßnahmen“.

Ein etwas skurriles Märchen, das Dr. Neumaier hier erzählt. Wahrscheinlich sind der Klimawandel und die grundsätzliche Verbissproblematik beim Waldumbau auch ein Märchen…

Dr. W. Kornder
(1. Vorsitzender ÖJV Bayern)